Sunday, 7 April 2024

GESELLSCHAFT 5.0 UND INTERNET OF BODIES: WAS KOMMT DA AUF UNS ZU?


Wenn Informationstechnologie mit Bio-, Gen-, Neuro-, und Nanotechnologie verschmilzt, ist irgendwann nichts mehr so, wie es einmal war. Das birgt riesige Chancen und noch größere Risiken – einschließlich der Möglichkeit, das Menschsein und die Gesellschaft für immer zu verändern. Das will gut überlegt sein!

Seit einigen Jahren wird verkündet: Wir sind auf dem Weg in die Gesellschaft 5.0.[1] Nach der Jäger- und Sammlergesellschaft, der Gesellschaft 1.0, haben wir die Agrargesellschaft (die Gesellschaft 2.0) sowie die Industriegesellschaft (Gesellschaft 3.0) hinter uns gelassen. Derzeit befinden wir uns vermeintlich noch in der Informationgesellschaft (Gesellschaft 4.0). Doch obwohl die digitale Transformation uns alles abverlangt, steht uns die nächste Revolution bereits bevor! Eine Veränderung, die so riesig ist wie jene drei zuvor? Wovon ist da die Rede?

Die Gesellschaft 5.0 werde das Ergebnis der vierten Industriellen Revolution sein, so kann man lesen,[2] und diese sei gekennzeichnet durch Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Blockchain Technologie und fortschrittliche Robotik. Ok, das sehen wir vielleicht noch ein. Aber dann ist da auch die Rede von Neurotechnologie und Gen-Editierung[3] – womöglich nicht nur bei Pflanzen.

Um die komplette Tragweite davon zu verstehen, muss man doch ein wenig weiter ausholen. Denn was sich da anbahnt, ist wahrhaft revolutionär. Ja, es scheint geradezu Science-Fiction zu sein. Dennoch ist es bereits viel realer, als die meisten von uns ahnen. Und es birgt jede Menge Sprengstoff für Demokratie und Grundrechte sowie jede Menge militärisches und Missbrauchs-Potenzial – auch Dual Use genannt.[4]

Im folgenden möchte ich daher die revolutionären gesellschaftlichen Potenziale und Risiken der sogenannten konvergierenden Technologien skizzieren. Dabei geht es um die Verbindung von Informationtechnologien mit Bio-, Gen-, Nano- und Neurotechnologien, sowie um das “Internet der Körper” (das “Internet of Bodies”) bzw. das Internet von Allem (das “Internet of Everything”). Was ist damit gemeint?

Beginnen wir mit dem “Internet der Dinge” (dem “Internet of Things”). Hier geht es um die Möglichkeit, allerlei Mess-Sensoren für allerlei Umweltfaktoren mit dem Internet zu verbinden (von Lärm über Temperatur und Luftverschmutzung bis CO2, Lichtintensität und Radioaktivität). Inzwischen gibt es sogar mehr von diesen Sensoren als Menschen auf unserem Planeten. Mit der technologischen Entwicklung werden sie immer billiger und immer kleiner – bis sie zum Teil die Größe von Nanoteilchen erreichen. Das sind Teilchen von bis zu 100 Nanometer Durchmesser, also kleiner als ein zehntausendstel Millimeter – vergleichbar mit der Größe eines Virus und mit menschlichen Augen nicht zu sehen.

Damit passen sie auch in unsere Zellen! Eingebettet in unseren Körper, könnte man sie also nutzen, um Daten auszulesen, die unter anderem für unsere persönlichen Gesundheit relevant sind. In der Tat spielen sie potenziell eine Rolle für „personalised health“ oder „high precision medicine“, also die angestrebte Personalisierung von medizinischen Behandlungen. Diese wären dann viel wirksamer, so hofft man, und hätten weniger Nebenwirkungen. Überdies könnte man viele Krankheiten schon im Anfangsstadium erkennen – und behandeln – bevor sie ausgebrochen sind und schweren Schaden angerichtet haben. Schon träumen manche vom ewigen Leben, oder zumindest von einer erheblichen Lebensverlängerung.

Was sich so traumhaft anhört, basiert auf dem sogenannten „Internet der Körper“. „The Internet of Bodies is here“, verkündete 2020 das World Economic Forum.[5] Und das könne unser Leben fundamental verändern. In wissenschaftlichen Kreisen spricht man eher vom „Internet der (Bio-)Nano-Dinge“. Und obwohl es inzwischen schon Nanoroboter und Computerchips von der Grösse eines Sandkorns gibt, ist die zum Teil verbreitete Befürchtung, dass wir nun bald gechipt würden, irreführend. Die meisten Nanoteilchen sind passiv und sehr einfach; sie senden Daten nicht von selbst. Man kann sie sich eher wie ein Kontrastmittel vorstellen, mit deren Hilfe man Körperstrukturen und -prozesse auslesen kann – durch einen Prozess, der physikalisch als Streuung bekannt ist. Dazu eignet sich zum Teil auch 5G-Strahlung und 6G,[6] die nächste Mobilfunkgeneration also, wobei man das Smartphone als Relais-Station zur Sammlung und Weitergabe der Daten nutzen kann. Denkbar ist auch die Nutzung geeigneter Lichtstrahlung. Im Prinzip könnte damit auch eine elektronische Identität („eID“) kreieren, bei der unser Körper quasi das Passwort ist.

Nun aber wird es spannend: denn man wird nicht nur Körperdaten auslesen, sondern auch körperliche Prozesse beeinflussen können. Beispielsweise lassen sich bestimmte genetische Prozesse an- oder ausschalten.[7] „Die Optogenetik erforscht Wege, genetisch veränderte Nervenzellen über Lichtimpulse statt durch Elektrizität anzuregen“, war bereits 2015 in einer ACATECH-Bewertung der „Innovationspotenziale der Mensch-Maschine-Interaktion“ zu lesen.[8]

Versuchen wir uns nun einmal vorzustellen, was durch Kombination von Nano-, Bio-, und Gentechnologie mit Quanten-Technologie und Künstlicher Intelligenz noch alles möglich werden könnte. Beispielsweise sind „kognitive Verbesserungen“ („cognitive enhancement“) seit mehr als 10 Jahren ein erklärtes Ziel.[9] In einem Fachartikel über „Nanotools for Neuroscience and Brain Activity Mapping“ konnte man 2013 schon lesen:[10] „Nanowissenschaft und Nanotechnologie sind in der Lage, ein reichhaltiges Instrumentarium neuartiger Methoden zur Erforschung der Gehirnfunktion bereitzustellen, indem sie die gleichzeitige Messung und Manipulation der Aktivität von Tausenden oder gar Millionen von Neuronen ermöglichen. Wir und andere bezeichnen dieses Ziel als das Brain Activity Mapping Project.“

Im selben Jahr hiess es, dass die Indexierung des menschlichen Hirns dazu führen wird, dass ich die Datenmenge bald alle 12 Stunden verdoppeln werde[11] – laut einem führenden Technologieunternehmen. Das war kurz bevor Edward Snowden unsere Aufmerksamkeit auf die Probleme der flächendeckenden Internet-Überwachung lenkte. Damit waren Themen wie das Auslesen von Gedanken, die technologisch ermöglichte Gedankenübertragung („technologische Telepathie“) oder die Gedankensteuerung erst einmal weit weg – obwohl man bereits an ihnen forschte. Und damit verharrten wir in der Vorstellung, „wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, während man in Wirklichkeit bereits damit begann, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen.

Wo die einst von der US Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) angestossene Entwicklung heute genau steht, ist auf Basis öffentlicher Informationen schwer zu sagen. Manches deutet allerdings darauf hin, dass zukünftige Smartphones zu Relaisstationen zwischen unserem Geist und Körper einerseits und dem satellliten-gestützten Internet andererseits werden könnten. Dabei sollen sich Smartphones einst durch Gedanken steuern lassen – und wahrscheinlich auch anders herum. So könnte vielleicht einst möglich werden, was man als „Hive Mind“ bezeichnet. Unsere Körper, unser Leben, unsere Gedanken würden ausgelesen werden, und das so gesammelte Wissen könnte weltweit zugänglich gemacht werden – soweit man es denn möchte. Es wäre zuzusagen eine hochskalierte Mammutversion von ChatGPT, die nicht nur mit allen Texten trainiert würde, sondern mit unseren Gedanken.

Für konvergierende Technologien wären viele Anwendungen denkbar – von neuen Lösungen für eine nachhaltige Zukunft bis zur Förderung der „Population Health“ oder gar der planetaren Gesundheit; von der Überwindung psychologischer Traumata und neurodegenerativer Erkrankungen bis zur Geburten- und Bevölkerungskontrolle. Militärisch würde das zielgenaue, personalisierte Töten möglich – an jedem Ort des Planeten und quasi unter der Nachweisgrenze. Angesichts der angespannten Weltlage, die nun oft als Notstand bezeichnet wird, mögen manche derartige Anwendungen für gerechtfertigt oder notwendig halten. Das entspricht nicht meiner Meinung. Aber wer soll Anwendungen konvergierender Technologien beurteilen – auch angesichts dessen, dass viele von ihnen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle wirken können?

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: ich will an dieser Stelle nicht behaupten, dass solche Technologien bereits missbräuchlich eingesetzt wurden. Aber was haben wir seit dem Nürnberger Kodex gelernt? Ich denke, wir sollten besser sehr genau darauf achten, wie Technologien verwendet werden, die so tief in menschliches Leben eingreifen können. Das wäre doch zu betonen. Denn schon 2021 wies eine Studie des Verteidigungs-Ministeriums zum Thema „Human Augmentation“ darauf hin, dass das Militär nicht warten wird, bis alle ethischen Fragen geklärt sind. Darüber hinaus habe die technische „Aufrüstung“ des Menschen im Prinzip bereits begonnen – und Maßnahmen, die man als Gentherapien bezeichnen könne, seien schon in der Pipeline.[12]

Der Mangel an Transparenz und das weitgehende Unwissen über diese „Zukunfts-Technologien“ müssen daher dringend überwunden werden. Denn sicher ist: konvergierende Technologien können nicht nur Segensbringer sein; sie machen uns auch maximal verwundbar.

So stellen sich denn viele Fragen: Können wir vertrauen, dass ein massen-überwachungs-basiertes, daten-getriebenes, KI-gesteuertes, „gott-ähnliches“, planetares Kontroll-System und jene, die es nutzen, wirklich wohlwollend handeln würden? Wie sollte man das überhaupt messen oder definieren? Was wäre schlimmer: ein mächtiges System, das missbraucht werden könnte, oder eines, das nicht richtig funktioniert?

Wie sollen wir die Kontrolle über unser Leben behalten, wenn die Daten, mit denen man unser Denken, Fühlen und Verhalten zunehmend steuern kann, nicht unserer Kontrolle unterliegen? Wie stellen wir sicher, dass ein System, das vielleicht vorübergehend dazu dienen soll, eine kritische Weltlage besser zu bewältigen, die besondere menschliche Fähigkeit des freien Denkens nicht für immer eliminiert? Wie vermeiden wir, dass eine Technokratie und ein neues Herrschaftssystem entstehen, mit dem wir vielleicht nicht einverstanden sind und das mutmaßlich zu mächtig wäre, als dass wir es jemals wieder selber ändern könnten? Wie stellen wir die politische Kontrolle sicher, wenn ein solches System an Parlament und Rechtsstaat vorbei agieren könnte, ja gewissermassen ein paralleles, algorithmen-basiertes Betriebssystem unserer Gesellschaft etablieren könnte? Fragen über Fragen, die unsere dringende Aufmerksamkeit erfordern.

Jedenfalls wurden die ethischen Probleme im Zusammenhang mit solchen Technologien bisher bei weitem noch nicht ausreichend diskutiert. Die Anwendung von Gen-Editierung, KI und Nanotechnologie in der Medizin bietet zwar immense Vorteile für die personalisierte Medizin, doch wirft sie auch fundamentale Fragen des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte auf. Die Verantwortlichkeit für den Einsatz der Technologien (d.h. die “Accountability”) muss geklärt werden. Der Schutz unserer Grundrechte, einschliesslich der informationellen Selbstbestimmung, muss so bald wie möglich sichergestellt werden. Denn im Grunde genommen liessen sich fast alle unsere Grundrechte aushebeln.

Daneben ist es essentiell zu gewährleisten, dass unsere Gesellschaft über den Einsatz und die Grenzen dieser Technologien frei – und ohne Manipulation – entscheiden kann. Dabei müssen wir unter anderem die Auswirkungen auf die Arbeitswelt, den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sowie die Autonomie des Einzelnen bedenken, genauso wie den Umgang mit der individuellen kreativen Lebensleistung und persönlichen Identität. (So wäre beispielsweise das Recht am eigenen Bild analog auf sogenannte “Digitale Zwillinge” anzuwenden.)

Internationale Richtlinien und transparente Governance-Strukturen könnten helfen, das Potenzial der Technologien zu nutzen, ohne die Freiheit und die Rechte des Individuums zu gefährden. Wir benötigen daher eine breite öffentliche Debatte und eine gesetzliche Regulierung, etwa den Schutz von Neurorechten, um einen Missbrauch solcher Technologien zu verhindern und ihre Vorteile gerecht zu verteilen.

[1] https://bluenotes.anz.com/posts/2019/02/the-future-of-japans-society-5-0
[2] https://www.trendreport.de/die-digitale-zukunft-ist-die-society-5-0/
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Fourth_Industrial_Revolution
[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s10676-024-09756-8
[5] https://www.weforum.org/reports/the-internet-of-bodies-is-here-tackling-new-challenges-of-technology-governance
[6] https://www.mdpi.com/2076-3417/11/17/8117
[7] https://www.nature.com/articles/s41587-021-01112-1
[8] https://www.acatech.de/publikation/innovationspotenziale-der-mensch-maschine-interaktion/
[9] https://www.heise.de/tp/features/The-Age-of-Transhumanist-Politics-Has-Begun-3371228.html?seite=all
[10] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/nn4012847
[11] https://www.industrytap.com/knowledge-doubling-every-12-months-soon-to-be-every-12-hours/3950
[12]https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/986301/Human_Augmentation_SIP_access2.pdf

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