Thursday, 28 June 2018

Künstliche Intelligenz kann eine Chance für uns alle sein

Von Dirk Helbing 
(ETH Zürich, TU Delft, Complexity Science Hub Vienna)
 

Es war lange ein Traum des Silicon Valleys, Künstliche Intelligenz (KI) zu bauen, die intelligenter als Menschen ist und die Probleme löst, die uns Menschen über den Kopf gewachsen sind. KI hätte unsere menschlichen Fehler nicht, dachte man. Sie wäre objektiv, fair, und unemotional, könnte viel mehr Wissen überschauen, schneller entscheiden und aus Daten lernen, die in der ganzen Welt gesammelt werden. Städte könnte man mit Mess-Sensoren versehen und automatisieren. Am Ende stünde eine Smarte Gesellschaft, die sich datengetrieben und algorithmen-gesteuert optimal entwickelt. Wir müssten nur tun, was uns das Smartphone sagt. Verhaltenssteuerung durch personalisierte Information und den berühmtberüchtigten chinesischen Citizenscore, ein Punktekonto für das Wohlverhalten des Bürgers, würde für die optimale Gesellschaftssteuerung sorgen. Inzwischen ist da vielerorts Ernüchterung eingekehrt. Was einst als Utopie begann, wird heute oft als Alptraum angesehen.

Damit treten wir in eine neue Phase der Digitalisierung ein. Die Karten werden neu gemischt. Europa hat die Chance, eigene Impulse zu setzen und damit Weltmarktführer zu werden – durch Künstliche Intelligenzsysteme, die Menschen nicht überwachen und kontrollieren, sondern die Menschen befähigen und kreative Aktivitäten koordinieren. Die Rede ist nun vom „werte-sensitiven Design“. Gemeint ist: wir sollten unsere verfassungsrechtlichen, sozialen, ökologischen und kulturellen Werte in die intelligenten Informationsplattformen einbauen, damit sie uns dabei unterstützen, unsere gesellschaftlichen Ziele zu erreichen, aber Freiräume für Kreativität und Innovation lassen.

Wenn es um demokratische Werte geht, so sind etwa die folgenden Aspekte von Bedeutung: Menschenrechte und Menschenwürde, Freiheit, (informationelle) Selbstbestimmung, Pluralismus, Minderheitenschutz, Gewaltenteilung, Checks and Balances, Mitwirkungsmöglichkeiten, Transparenz, Fairness, Gerechtigkeit, Legitimität, anonyme und gleiche Stimmrechte und Privatsphäre im Sinne von Schutz vor Exponierung und Missbrauch einerseits, andererseits im Sinne eines Rechts, in Ruhe gelassen zu werden.

Im globalen Miteinander scheinen überdies folgende Werte eine vielversprechende Basis für eine erfolgreiche und friedliche, vernetze Informationsgesellschaft zu sein: Vielfalt, Respekt, Partizipationschancen, Selbstbestimmung, Verantwortung, Qualität, Awareness, Fairness, Schutz, Resilienz, Nachhaltigkeit und Compliance.

Es ist nicht leicht, diese Eigenschaften in Informationssysteme einzubauen, aber wir können es lernen. Wir können KI-Systeme bauen, welche die Welt und uns alle voranbringen, vorausgesetzt es gibt einen breiten und fairen Zugang zu den Potenzialen dieser Systeme. Stellen Sie sich vor, die KI würde Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen, sondern sie würde Ihnen dabei helfen, Ihre eigenen Talente zu entfalten und Ihre Ziele zu erreichen, und zwar umso mehr, je mehr sie (auch) anderen helfen – sozusagen ein Geist aus der Flasche, der Gutes tut, der uns hilft, uns selbst und anderen zu helfen.

Was sich heute noch wie Utopie oder Science Fiction anhört – schon bald könnte es Realität sein. KI ist eine Chance für die Wirtschaft, für Europa und uns alle, wenn wir nur lernen damit umzugehen – damit es nicht ausgeht wie mit Goethe’s Zauberlehrling. Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale“ hat jetzt die Chance, die Weichen für eine vielversprechende, bessere Zukunft zu stellen.